Saatgut und Migration

Die Welt in unseren Gärten
Das Buch

Saatgut und Migration

Die Welt in unseren Gärten
DAs Buch

Migrantinnen und Migranten bringen neue Gemüse aus ihren Herkunftsländern in die Schweiz.
Diese Entwicklung tangiert viele aktuelle Themen wie Biodiversität, Ernährungssouveränität, Samenvielfalt und die sich verändernden Klimabedingungen. Die Erfahrungen der Migrantinnen und Migranten werden der Öffentlichkeit in Form eines Fotobuches zugänglich gemacht. Das Projekt fördert den kulturellen Austausch und positive Aspekte der Migration werden aufgezeigt. Die Leserschaft soll für die aktuellen Themen sensibilisiert werden und das notwendige Wissen erhalten, um die Kulturpflanzen selber anzubauen, zu verwerten und ihre Samen zu gewinnen. Das Fotobuch beinhaltet die Beschreibung von ca. 11 Kulturpflanzen, angebaut in St. Gallen und Arbon, vom Samen bis zur Ernte mit einem Rezept jeder Pflanze und einem Portrait der*des jeweiligen Gärtnerin*Gärtners.

42.- | 128 Seiten
VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen
ISBN: 978-3-7291-1201-8
Text: Adelheid Karli Christinger, Ueli Troxler
Fotografie: Michèle Mettler
Grafik: ogd

Am 23. September 2023 feierten wir im Max Burkhardt Haus in Arbon das Fotobuch zum zweiten Mal!
Ein Apéro mit Spezialitäten aus den Heimatländern der Gärtner:innen sowie eine Ausstellung der Fotografien begeisterten die Gäste.
Wir danken den Redner:innen für ihre gehaltvollen und inspirierenden Worte: Christa Oberholzer, VGS Verlagsgenossenschaft St. Gallen, der Schriftstellerin Ruth Erat und dem Samenzüchter Robert Zollinger.

Gedankensplitter von Ruth Erat zur Buchvorstellung in Arbon

Saatgut und Migration 

Saatgut und.

Und Migration.

Und.

Als ob diese Verbindung ein Zusammen mit sich führte – nicht diesen Gegensatz, diesen kulturhistorisch bedingten Ausschluss.

Denn ist nicht Saatgut geradezu das Zeichen der Sesshaftigkeit, des Dableibens, der Nichtmigration, der Nicht-mehr-Wanderung? Meint Saatgut nicht explizit das Wesen von Besitz, Dableiben, Da-Ackern, Da-Säen, Da-Ernten, Da-Speichern? Inkludiert Saatgut nicht Verwurzelung, Bauerngut, Gutsbetrieb, Gutshof?

Und doch.

Saat ist immer unterwegs.

Flugsamen zerstreuen sich dahin und dorthin.

Insel-Vegetationen verdanken ihre Existenz den Samen, die im Meer trieben.

Unser Saatgut stammt zu einem grossen Teil von anderswo.

Und leben nicht auch wir nur dank anderen, jenen aus anderen Familien, anderen Dörfern, anderen Kontinenten?

Sind wir nicht alle das Produkt der Migration?

Und überleben wir nicht je einzeln und als Spezies dank einem Dahingehen und -reisen und Dorthinfahren und -wandern – also von diesem und jenem Dorthin und Dorther Mitnehmen –

den winzigsten Partikeln, die wir von anderen einatmen? Denn: existent sind wir durch die Einverleibung von migrierender Saat und deren Früchten. Wie sonst, wäre jede und jeder von uns je zur Welt gekommen?

Wer nach unserem Überleben fragt, ihm nachforscht, weiss das. Wir sind, weil es andere gibt, Fremde.

Ja. Es ist ein Glück, dass wir, auf unseren Wegen anderen begegnend, deren Lebenspartikel weitertragen – unser Leben mit ihm speisen – nähren dürfen und neu werden – so vorankommen lassen.

Im Rheintal beispielsweise dank dem Törgga, wie hier der Mais heisst, dem Türken – dem noch im 17. und 18. Jahrhundert schrecklichen Fremden.

Doch, und auch das lässt aufhorchen, gerade auch hier gleichzeitig mit der Grumpere, der Grundbirne, wie die Kartoffel nicht weit von uns heisst –

So, als wäre sie einheimisch, mit diesem Boden, der Erde unter unseren Füssen verbunden.

Wir leben vom Fremden, lassen es hier einwurzeln. Und nennen es das Schweizerische: die Berner Rösti, den Rheintaler Ribel. Und dann heisst es beispielsweise in der Berner Zeitung, der BZ, vom 19. September zu dem, was die frühen Siedler am Burgäschisee pflanzten, jagten, tauschten: «So lebten die ersten Schweizer Bauern». Als hätte es damals schon eine Schweiz gegeben, als wäre das Bebauen des Landes, die Feldarbeit im gut dokumentierten Neolithikum (5850 bis 5650 – etwa) ein schweizerisches Tun gewesen, sesshaft, national!

Ja. Da überschneiden sich im Saatgut mit einem Mal Migration und Nationalismus, mündet die Wanderung in eine Sesshaftigkeit mit dieser Konstruktion «Schweiz». Wahrscheinlich einfach aus Unbedachtheit. Titel von Zeitungstexten sollen ja nur ganz simpel Menschen zum Kauf des Publikationsorgans verlocken.

Dennoch. Es bleibt seltsam. Wenn man das so vor sich sieht, einen Moment lang bedenkt. Und dann vielleicht wieder einmal von der einheimischen Fauna und Flora, die zu schützen ist, zu verteidigen, zu pflegen, hört.

Natürlich:

Invasives Fremdes ist auszureissen.

Hat nicht das Opossum in Australien den Kiwi beinahe ausgerottet? Sind die eingeschleppten Muscheln im Bodensee nicht mehr als lästig – geradezu bedrohlich? Und spricht man bei der Migration nicht stetig davon, dass sie uns nicht nur fordert, vielmehr auch überfordert. Und –

Doch dann taucht am Rand vielleicht auf, dass uns gerade die Migration retten könnte, denn wenn es heiss wird, wenn der Regen nicht mehr so gleichmässig schweizerisch nieselt und sich in sanften Bindfäden über das Land ergiesst, wenn…

Brauchen wir dann nicht das Saatgut von anderswo? Die fremden Samen? Die fremden Partikel, die unser Eigenes werden? Ihr Einwurzeln. Ihr Saatgut. Diese Migration, die hier ganz konkret Boden fasst, dank solchen Projekten wie «Migration und Saatgut» fassen darf. Und…

Ja. Wir brauchen die andern, das Hergebrachte, das fremde Leben, das sich mit unserem mischt, es weitertreibt, überleben lässt.

Nur so, überleben wir.

Nur gemeinsam.

Nur mit der Nahrung, die uns das Fremde ist – geistig, seelisch, körperlich.

Unser Gaumen und unsere Zunge wissen das längst. Wir kosten, tun uns mit dem einen oder anderen Gewürz etwas schwer, kochen weiter, kochen wieder, essen, sitzen vor unseren Tellern, blicken, sitzen am Tisch: am Tisch mit den andern – gemeinsam.

Das Buch, das hier vorliegt, erzählt davon, von Zainab, Amira, von Gadissa, Habtu, Charinratn, Letemeskel, Kibra, Sadeq, Kenaan, von allen mit ihrem Saatgut, ihrem Einwurzeln-Lassen, Ernten, Kochen, Nähren, diesem Mischen, von dem doch auch wir durch unser eigenes Dasein und Herkommen erzählen. Und das wir nun mit diesem Buch dank Ueli Troxler, Michèle Mettler und Adelheid Karli und der VSG, der Verlagsgenossenschaft St. Gallen, neu erleben dürfen, und zwar in der Dimension unserer eigenen Zeit, hier, heute: notwendig und sinnlich erlebbar: ein Glück – nur schon das Buch in der Hand zu halten, es taktil zu erleben… Ja. Nicht umsonst vermögen wir das: das Fremde zu lieben, ihm Raum zu bieten, Saatboden, Feuerschalen, Kochtöpfe… den Teekrug für die Minze aus dem Samenpapier – …

Lassen wir das Buch keimen…

Fotografie
Michèle Mettler


ist 1971 in St.Gallen geboren. 
Nach ihrer Lehre als Fotografin reist sie durch Europa und Kanada. Nebst der Realisierung von Foto- und Kunstprojekten, sammelt sie auch Erfahrungen in Rebbergen und Gärten.
Zwei Jahre arbeitet sie in China, was den Ausschlag gibt, Traditionelle Chinesische Medizin zu studieren.
Seit 20 Jahren werden ihre Fotografien, Zeichnungen, Druckgrafiken und Bücher international in Ausstellungen gezeigt.
Heute lebt sie mit ihrer Familie in Rorschach am Bodensee.

Text
Ueli Troxler


1949, lebt in Arbon im Kanton Thurgau, ist freiwilliger Mitarbeiter im Gartenprojekt HEKS Gärten in Arbon und pensionierter Sozial- und Gemeinwesenarbeiter. Seit jeher ist er fasziniert von der Natur-und Pflanzenwelt. In der Arbeit mit den Migrant:innen unterstützte er sie praktisch im Garten und lernte ihre Pflanzen kennen. Seine Erfahrungen möchte er einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen als Lernfeld für die Zukunft im Zeichen des Klimawandels und Kulturaustausches.

Text
Adelheid Karli Christinger

1968, lebt mit Tochter und Partner im Appenzell Ausserrhoden, ursprünglich Kauffrau, Reisende und Älplerin – heute Gärtnerin, Sozialpädagogin und Gartentherapeutin IGGT, Fachbereich Kräuter, arbeitet seit 1996 im landwirtschaftlichen und gärtnerischen Bereich mit Menschen mit Unterstützungsbedarf, Kindern und Jugendlichen. Seit 2014 tätig im Projekt HEKS Gärten Ostschweiz, Aufbau diverser Gartenstandorte und des Samenbauprojektes.

Grafik
Hannah Gstrein


Nach dem Vorkurs absolvierte sie in St. Gallen die Lehre zur Grafikerin. Sammelte Berufserfahrung in Stuttgart (DE) und arbeitete danach mehrere Jahre zusammen mit ihrem Partner als Art Directorin in Sardinien (IT). Im 2010 kehrten Sie in die Schweiz zurück und gründeten gemeinsam das Design-Büro ogd.ch. Ihr Schwerpunkt liegt beim Möbeldesign, grafischen und künstlerischen Arbeiten mit welchen sie schon einige Preise (Red Dot, International Design Awards, European Design Award) gewonnen haben. 

Unterstützt durch

Unterstützt durch

Amiata Bioweine St.Gallen
Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Straubenzell St.Gallen West
HEKS Ostschweiz
Kanton Appenzell Ausserrhoden
Kulturförderung des Kantons St.Gallen | SWISSLOS
Regula Ruflin, Bern
SP Frauengruppe Arbon
Stadt St.Gallen Gesellschaftsfragen
Stadt St.Gallen Kulturförderung
Susanne und Martin Knechtli-Kradolfer-Stiftung
Thurgau Lotteriefonds
Tisca Tischhauser Stiftung
TKB Jubiläums-Stiftung

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Kontoangaben
Migros Bank AG
Michèle Mettler
CH54 0840 1000 0637 0622 9

Impressionen der St.Galler Vernissage 24.6.2023

Impressionen der Arboner buchvorstellung 23.9.2023

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